Projekt "Mobilität schafft Lebensqualität"

Motivation

Sachsen hat deutschlandweit den höchsten Anteil an über 65-jährigen gesetzlich Krankenversicherten sowie eine überdurchschnittlich große Anzahl von hochaltrigen Bürgern (über 85 Jahre). Damit ist Sachsen ein ideales Modellland für die Darstellung einer qualitätsadjustierten Verbesserung der Versorgung von sturz- und frakturgefährdeten Patienten. Die Reduktion von Frakturen in einer Hochrisikopopulation ist gesundheitsökonomisch besonders relevant. Dabei geht es im ersten Schritt darum, die öffentliche Aufmerksamkeit zum Thema "Sturz und Sturzfolgen" zu fördern und damit das Gesundheitsbewusstsein der Bürger zu verbessern.

Es ist bekannt, dass mit zunehmendem Alter die Gefahr für Stürze und Knochenbrüche steigt, der Mensch wird gebrechlich. Insgesamt werden 86 % aller Frakturen durch Stürze verursacht [Mayne D, 2010, Age and Aging]. Durch körperliches Training kann jedoch jeder Mensch sein persönliches Sturzrisiko bis ins hohe Alter minimieren. Somit können Knochenbrüche, welche oft Folge eines Sturzes sind, verhindert werden.

Oft werden Gründe wie eine unebene Straße, zu hohe Stufen oder auch nur mangelnde Aufmerksamkeit als Ursachen für einen Sturz angegeben. Fakt ist aber, dass mit zunehmendem Alter nicht nur die Knochenfestigkeit sinkt, sondern auch die Muskulatur schwächer wird. Es fehlen Kraft und Balance. Diese Störungen werden durch weitere Alterungsvorgänge, z. B. eine verschlechterte Durchblutung, verstärkt. Die Summe dieser Veränderungen der alterbedingten Verringerung der physischen Aktivität bezeichnet man als Gebrechlichkeit. Der ältere Mensch ist nicht mehr ausreichend in der Lage, auf Veränderungen im Umfeld in adäquater Geschwindigkeit zu reagieren. Häufig reicht schon eine geringe Ablenkung, um das Gleichgewicht zu verlieren und folglich zu stürzen. Da wir im höheren Lebensalter nicht mehr ausreichend in der Lage sind, den Sturz abzufangen, ist ein Knochenbruch oft unvermeidbar.

Wird das Risiko allerdings rechtzeitig erkannt, kann durch körperliches Training von Kraft und Balance die Sturzgefahr deutlich verringert werden.

Aus diesem Grund hat der Bund der Osteologen Sachsen e. V. gemeinsam mit dem Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Sachsen, dem Sächsischen Hausärzteverband e. V. in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Landesapothekerkammer Ende des Jahres 2011 das Projekt "Mobilität schafft Lebensqualität! Verhinderung von Stürzen und Knochenbrüchen im Alter" ins Leben gerufen.

Screening- und Diagnostikprogramm

Zur Umsetzung des Projektes "Mobilität schafft Lebensqualität! Verhinderung von Stürzen und Knochenbrüchen im Alter" wurde ein vollelektronisches Anamnesetool entwickelt. Die Menüführung dieses Risikofragebogens ist selbsterklärend. Zunächst werden Alter, Geschlecht und Wohnort eingetragen. Anschließend müssen 21 Fragen zu den Themen körperliche Aktivität, Sturzrisiko, Knochenbruchrisiko und Störungen/Erkrankungen mit ja/nein beantwortet werden. Nach vollständiger Beantwortung aller Fragen und der Bestätigung durch den Button "Absenden" erhält der Nutzer eine sofortige Einschätzung seines persönlichen Risikos und wenn nötig, die Empfehlung seinen Hausarzt aufzusuchen.

Besteht ein erhöhtes Sturz- und Frakturrisiko, sollen die betroffenen Patienten einer zielgerichteten Behandlungskaskade zugeteilt werden. Dazu erfolgt die Testung des Sturzrisikos mittels evaluierter Testbatterien beim Hausarzt. Die Ergebnisse dieser Tests dokumentiert der Hausarzt auf einem extra entwickelten Dokumentationsbogen. Bei nachgewiesen erhöhtem Sturz- und Frakturrisiko verweist der Hausarzt den Patienten direkt an einen osteologisch versierten Spezialisten. Dieser führt die weitere Diagnostik durch, welche auch zur Abklärung einer Sarkopenie bzw. Dynapenie dient. Dafür stehen standardisierte Testbausteine zur Verfügung, z. B. Handkraftmessung, Timed Up and Go-Test oder die Messung der Ganggeschwindigkeit.

Ergebnisse

Insgesamt sind 1871 vollständig ausgefüllte und auswertbare Risikofragebögen aus ganz Deutschland eingegangen. Da jedoch von Interesse war, wie sich die Situation bezüglich des Sturz- und Frakturrisikos in Sachsen darstellt, wurden für die Auswertung nur die Risikofragebögen aus Sachsen mit einer Anzahl von 1019 herangezogen.

Das Risiko, einen Sturz und/oder eine Fraktur zu erleiden, ist bei den Männern zunächst rasch von 40 % bei den unter 50-jährigen auf über 60 % bei den 55- bis unter 60-jährigen gestiegen. Anschließend hält es sich recht konstant um die 60 % bis es ab dem 80. Lebensjahr knapp 80 % erreicht. Bei Frauen liegt dieses Risiko bis zum 55. Lebensjahr bei unter 50 %, steigt danach jedoch fast linear an bis es über 90 % bei den mindestens 80-jährigen beträgt.

Männer betreiben tendenziell bis in ein höheres Lebensalter regelmäßig Sport. Die Hälfte der Frauen ist im Alter von 62 bis 72 Jahren regelmäßig sportlich aktiv, wohingegen 50 % der Männer im Alter von 68 bis 77 Jahren sportlich aktiv sind.

Befragte, welche nicht regelmäßig Sport treiben, haben zu 80 % ein erhöhtes Risiko, einen Sturz oder Knochenbruch zu erleiden. Wird hingegen regelmäßig einer sportlichen Betätigung nachgegangen, so verdoppelt sich der Anteil derer, die kein erhöhtes Sturz- und Frakturrisiko haben auf 40 %.

Betrachtet man das Sturzverhalten der Befragten, so sind weniger als 20 % der Frauen als auch der Männer fast aller Altersklassen innerhalb des letzten Jahres gestürzt. Frauen über 80 Jahre gaben jedoch zu 43 % mehrmaliges Stürzen an.

Betrachtet man die Knochenbruchrate nach dem 50. Lebensjahr, so schwankt diese bei den Männern zwischen 12 % und 17 %. Sie zeigt somit keine große Veränderung bei steigendem Alter. Bei den Frauen hingegen ist deutlich zu erkennen, dass die Knochenbruchrate ansteigt je älter sie werden. Frauen ab 80 Jahre haben zu 66 % einen Knochenbruch anch dem 50. Lebensjahr erlitten.

Diskussion

Die Auswertung der Anamnesebögen hat ergeben, dass Personen aus Sachsen ein über 60 %-iges Sturz- und Frakturrisiko haben.

Da Männer häufiger regelmäßig Sport treiben, auch im hohen Alter, besteht bei Ihnen ein geringeres Risiko, eine Fraktur oder einen Sturz zu erleiden. Des Weiteren ist die Sturzrate bei Ihnen wesentlich niedriger, sodass man davon ausgehen kann, dass sich sportliche Aktivität positiv auf das Frakturrisiko auswirkt.

Bei Frauen hingegen sollte bereits ab der Menopause in regelmäßigen Abständen das Sturz- und Frakturrisiko geprüft werden. Bereits in der frühen Menopause sehen wir bei den Frauen einen deutlichen Abbau des trabekulären Knochens.

Bei gleichzeitig bestehendem erhöhten Sturzrisiko sehen wir ein deutlich erhöhtes Knochenbruchrisiko. Dieses erhöhte Risiko wird in den Statistiken der Gesundheitsberichterstattung bei Betrachtung der erhöhten Anzahl von Unterarmfrakturen bei Frauen dieses Alters sichtbar. Die Unterarmfraktur gilt bei der Frau als Wächterfraktur für eine mögliche Osteoporose, bei Männern sehen wir keine derart klare Risikokonstellation. Hier steigt das Frakturrisiko erst im Alter über 80 Jahre deutlich an.